
Jede Karriere fängt mit persönlichen Vorstellungen an, die vor dem ersten Arbeitstag noch rein spekulativ sind. Als Berufseinsteiger fragt man sich, wie die Arbeit sein wird und ob sie sich mit den eigenen Vorstellungen auch in der Realität deckt.
Im günstigen Fall entsprechen die Rahmenbedingungen im neuen Job den persönlichen Idealen. Man hat freundliche und hilfsbereite Mitglieder im Kollegenkreis, nach einer gewissen Zeit der Einarbeitung funktionieren die anfallenden Aufgaben ohne Probleme und die Arbeit macht grundsätzlich Freude.
Auf der anderen Seite erleben viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen 'Kulturschock': Die Realität am Arbeitsplatz stellt sich als mühsamer, komplizierter oder weniger kollegial heraus als man vermutet hatte. Trotz einer intensiven Einarbeitungsphase geht die Arbeit schwerer von der Hand als erwartet.
In solch einer Situation fällt häufig die Aussage 'Manches hätte ich gerne vorher gewusst'. Dieser Artikel thematisiert Aspekte des Lehrberufs, die Lehrkräfte gerne vor dem Einstieg ins Berufsleben gewusst hätten. Zu diesem Zweck wurden Lehrerinnen und Lehrer über ihre persönlichen Erfahrungswerte und Meinungen befragt.
Diskrepanz zwischen den Studieninhalten und Schulalltag
Viele Lehrkräfte berichten von einer Diskrepanz zwischen den Studieninhalten und der Referendariatszeit. Neben einem arbeitsintensiven Berufsalltag werden Situationen geschildert, auf die angehende Lehrkräfte während ihres Studiums nicht vorbereitet wurden.
Dieser Beitrag richtet sich sowohl an Referendarinnen und Referendare als auch an Lehramtsstudierende, die sich auf das Referendariat vorbereiten. Die Befragung von Lehrerinnen und Lehrern spiegelt die Meinungen einzelner Personen wider und ist deshalb rein subjektiv. Ihre Antworten lassen sich dennoch auf die Realität im Klassenzimmer übertragen und helfen angehenden Lehrkräften auf ihrem Weg in den Schuldienst.
Wir haben Lehrkräfte im Alter von 30 bis 60 Jahren zu verschieden Aspekten befragt. Sie geben Antwort darauf, welches Hintergrundwissen sie bereits vor dem Lehramtsstudium oder vor dem Eintritt in das Referendariat benötigt hätten.
Fragen an die Lehrkräfte:
1. Was hat dich zu einem Lehramtsstudium bewogen?
Mit dieser Frage werden die persönlichen Gründe für die Berufswahl erörtert. Die Immatrikulation in ein Lehramtsstudium verfolgt einen Zweck. Viele Studierende möchten Wissen vermitteln und ihre Fachkenntnisse an Schülerinnen und Schüler weitergeben. Andere zukünftige Lehrpersonen verfolgen das Ziel, Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden zu begleiten. Eine weitere Gruppe von angehenden Lehrerinnen und Lehrern hat ihre eigenen Fachlehrkräfte immer als Vorbilder betrachtet und möchte sich an ihnen ein Beispiel nehmen. Daraus reifte der Entschluss, sich für ein Lehramtsstudium einzuschreiben und selbst an einer Schule zu unterrichten.
Beispielhafte Antworten:
'Die Inspiration für meinen Lehrberuf war der Film 'Der Club der toten Dichter'.
'Ehrlich gesagt habe ich mich nur wegen der günstigen beruflichen Aussichten auf ein Lehramtsstudium beworben. Es waren eher sachliche Argumente, die für diese Entscheidung sprachen'.
'Die Inspirationsquelle für meine Berufswahl waren meine eigenen Lehrerinnen und Lehrer. Zu ihnen hatte ich damals immer einen guten Draht und habe mich auch selbst eines Tages in der Lehrerrolle gesehen. So reifte in mir der Entschluss, Lehrerin zu werden'.
2. Wie verliefen die ersten Praxiserfahrungen?
Spätestens im Referendariat stellen Studienabsolventinnen und -absolventen fest, dass es einen inhaltlichen Unterschied zwischen der Theorie und der Praxis als Lehrkraft gibt. In diesem Kontext wird die Aussage 'Ich hätte gerne vorher gewusst, dass der Vorbereitungsdienst anders ist als das Studium' besonders häufig verwendet.
Beispielhafte Antworten:
'Meine erste Unterrichtsstunde war eine Wiederholungsstunde in einer Realschule im Jahrgang 9 im Fach Geschichte 1993. Es ging um die sozialen Folgen der industriellen Revolution. Ich habe dafür Bilder von Heinrich Zille ausgewählt und mit der Klasse besprochen. Nach der Stunde beklagten sich nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Referendare, dass die Stunde viel zu schnell vergangen sei. Das hatte mich sehr erfüllt'.
'Ich hatte vor allem in der Anfangszeit Schwierigkeiten mit dem Zeitmanagement. Die Planung der Unterrichtsstunden erwies sich als aufwändig und kompliziert. Abgesehen davon wurde dieses Thema während des Studiums kaum in den Seminaren behandelt. Deshalb fühlte ich mich in der Hinsicht oft alleingelassen und auch etwas hilflos'.
'Meine ersten Praxiserfahrungen waren wie ein Sprung ins eiskalte Wasser. Ich fand es etwas ungewohnt, vor der Klasse zu stehen und selbst Unterricht zu erteilen. Im Grunde waren die ersten Erfahrungen als Lehrkraft ebenso aufregend wie unangenehm'.
3. Welches Feedback gab es von Kolleginnen und Kollegen?
Rückmeldungen von erfahrenen Mitgliedern aus dem Lehrerkollegium sind während des Referendariats wichtige Wegweiser. Die Fragestellung nach dem Feedback befasst sich mit Lob und Kritik zu den persönlichen Leistungsständen oder Kenntnissen als Lehrkraft im Referendariat. Bei den Beurteilungen der eigenen Leistungen durch Dritte steht die Eignung als Lehrerin oder Lehrer im Vordergrund. Als Lehrperson im Referendariat erfährt man, auf welche Qualifikationen oder Fachkenntnisse in der jeweiligen Schule besonderer Wert gelegt wird.
Beispielhafte Antworten:
'Das Feedback von Kollegen ist bis heute ganz unterschiedlich. Es gibt Lehrkräfte, die mich fragen und sich inspirieren lassen. Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die mich anregen, berühren und nachdenklich stimmen; es gibt aber auch Mitglieder im Lehrerkollegium, die meine Form eher ablehnen und deutlich andere Prioritäten setzen'.
'Meine Kolleginnen und Kollegen haben mir mehrfach versichert, dass ich eine gute Lehrkraft sei. Einmal habe ich einem Jungen in Deutsch als Zweitsprache Nachhilfe gegeben. Seine Fortschritte waren wohl so erstaunlich, dass mich ein anderer Lehrer für meine Arbeit mit dem Schüler ausdrücklich gelobt hatte. Die Fortschritte, so sagte er, seien wohl auch auf meine Kompetenzen zurückzuführen gewesen. Das hatte mich ziemlich überrascht, weil ich mich selbst nie als 'typische Lehrerin' gesehen habe'.
'Das Feedback war relativ positiv. Man sagte mir, ich sei sehr schülerorientiert und gelassen, was man an meinem gesamten Lehrerverhalten gemerkt habe. Bei Einzelheiten gab es zwar Kritik, aber das gehört ja auch dazu'.
4. Welche positiven und negativen Erfahrungen gab es?
Die Gewichtung der positiven und negativen Erfahrungswerte steht im Verhältnis zur Zufriedenheit im Beruf. Bei der Frage nach ihren Erfahrungen bekommen die Befragten die Gelegenheit, zwischen den guten und weniger guten Erlebnissen im Schulalltag abzuwägen. Dies geschieht unter der Berücksichtigung von Aspekten, die man gerne vorher gewusst hätte. Viele negative Erfahrungen gehen auf einen Mangel an Kenntnissen über den Schuldienst zurück. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, dass sich positive Erfahrungswerte mit einem soliden Hintergrundwissen durchsetzen: Man ist auf bestimmte Situationen besser vorbereitet und kann angemessen mit ihnen umgehen.
Beispielhafte Antworten:
'Zu der Frage nach den Erfahrungen kann ich nur sagen, dass es viele Höhepunkte gibt. Ich arbeite ja seit 25 Jahren in diesem Beruf. Positiv ist bis heute die Unmittelbarkeit der Reaktion der Schülerinnen und Schüler. Dasselbe gilt für die Chance, Fehler wiederzugutmachen. Unfassbar positiv ist auch die Vielfalt und Kreativität, die jeden Tag im Unterricht stattfinden kann. Negativ finde ich den Minimalismus in der Schule, aber auch durchsichtige Rhetorik, das bezieht sich auf die Lehrkräfte. Es gibt auch Kolleginnen und Kollegen, deren Priorität nicht bei den Klassen liegt, sondern bei sich selbst. Kritisch sehe ich aber auch Momente der Selbstüberhöhung und Unhöflichkeit von Eltern. Ich finde, dass wir Lehrer immer mehr Erziehungsarbeit ausüben müssen'.
'Ich hatte vor allem in der Anfangszeit Schwierigkeiten mit dem Zeitmanagement. Die Planung der Unterrichtsstunden erwies sich als aufwändig und kompliziert. Abgesehen davon wurde dieses Thema während des Studiums kaum in den Seminaren behandelt. Deshalb fühlte ich mich in der Hinsicht oft alleingelassen und auch etwas hilflos'.
'Sehr positiv ist die Erfahrung, wenn die Schülerinnen und Schüler etwas von mir lernen und die anderen Lehrkräfte sich lobend über meine Kompetenzen als Lehrerin äußern. Es ist auch sehr schön, wenn die Klasse im Unterricht gut mitmacht'. Die häufige Kritik finde ich eher negativ. Ein weiterer Punkt ist das Schulsystem: Du musst dir selbst viel aneignen und wirst oft alleingelassen. Wenn Schülerinnen und Schüler etwas bemängeln, muss man erst einmal die Ursachen herausfinden. Das lernst du im Referendariat, aber nicht im Studium. Deshalb ist die Referendariatszeit wirklich ein Sprung ins kalte Wasser'.
5. Was hat dich am echten Lehreralltag überrascht?
Die größte Überraschung steht oft im Zusammenhang mit dem Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Die Diskrepanz zwischen der Theorie des Studiums und dem Arbeitsalltag als Lehrkraft sind bekannt. Bei dieser Fragestellung geht es darum, welche Überraschungen die Befragten selbst erlebt haben und wie sie von ihren persönlichen Erfahrungen beeinflusst wurden.
Beispielhafte Antworten:
'Überraschend ist die Erkenntnis, wie viel Energie man zurückbekommt. Ich habe ja vorher zwei Handwerksberufe gelernt und gelebt, aber der Lehrerberuf ist nicht nur anstrengend, er ist auch sehr erfüllend, anregend und vielfarbig. Ich bin nicht in der Lage, zwischen Person und Funktion, Privatem und Beruflichem zu trennen. Ich bin zu gerne in diesem Beruf und möchte für Kinder ein Gewinn sein. Als Lehrer spiele, lerne, streite, suche und frage ich im Unterricht mit. Vielleicht kann man sagen, dass ich zu gleichen Teilen Lehrer und Schüler bin'.
'Am Alltag als Lehrkraft haben mich die unterschiedlichen Leistungsstände der Schülerinnen und Schüler überrascht. Auch die Anforderungen im Fach Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache waren sehr hoch'.
'Am echten Lehreralltag hat mich überrascht, dass organisatorische Dinge den reinen Unterricht fast schon verdrängen. Das sind Bereiche, an die man bei der Berufswahl oder auch im Studium gar nicht gedacht hat. Dazu kommen viele Projekte, die parallel laufen. Das Unterrichten nimmt fast eine Nebenrolle ein. Man erwartet immer, dass Lehrkräfte sozial sind. Das stimmt nicht immer, viele Lehrerinnen und Lehrer achten letztlich nur darauf, dass sie bei der Schülerschaft beliebt sind'.
6. Wie hast du dich mit deinem Beruf arrangiert?
Die Zufriedenheit mit der Berufswahl lässt sich mit der oben genannten Frage abwägen. Eine alternative Formulierung der Fragestellung lautet: 'Stehst du nach wie vor zu deiner Entscheidung, Lehrerin oder Lehrer zu werden?'. Ein regelmäßiges Reflektieren und auch Hinterfragen der Berufswahl ist sowohl im Referendariat als auch im Schuldienst nach der Vorbereitungsphase sinnvoll.
Beispielhafte Antworten:
'Ich glaube, man muss eine gewisse Distanz zu dem Beruf entwickeln. Man darf nicht alles an sich heranlassen. Anstelle von defizitorientiertem Arbeiten ist eine lösungsorientierte Arbeitsweise definitiv sinnvoller'.
7. Was hättest du gerne vorher gewusst?
Die letzte Fragestellung fasst das Ziel der Befragung zusammen. Für die Beantwortung dieser Frage sind praktische Berufserfahrungen im Lehramt beziehungsweise im Unterrichten notwendig.
Beispielhafte Antworten:
'Im Studium geht es hauptsächlich um die Theorie beziehungsweise um einen 'idealen Unterricht'. Beides bereitet Lehrkräfte nicht angemessen auf die berufliche Praxis in der Schule vor. Ich hätte gerne schon während meiner Studienjahre gewusst, auf welche Situationen ich mich einstellen sollte. Dazu zählt zum Beispiel der richtige Umgang mit verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schülern. Darüber habe ich im Studium kaum etwas gelernt. Bei meinen praktischen Erfahrungen an der Schule musste ich feststellen, dass man einzelnen Klassenmitgliedern nicht immer in dem Umfang gerecht werden kann, wie man es gerne möchte oder wie sie es bräuchten'.
'Was hätte ich gerne vorher gewusst? Zum einen, dass ich in vielen Momenten eine Zumutung bin und die Kraft nicht endlos reicht. Es ist auch sehr schwer, sich von seinen Schülerinnen und Schülern zu verabschieden. Darüber hinaus hätte ich gerne gewusst, dass Korrekturzeiten wirklich extrem erschöpfend sind und man als alter Lehrer kein junger Lehrer sein kann'.
'Ich hätte gerne vorher gewusst, wie der Beruf als Lehrkraft strukturiert ist, was das Tagesgeschäft ist und was eher zweitrangig ist. Die Tätigkeit als Lehrerin oder Lehrer ist so viel mehr als die Erteilung von Fachunterricht. Ich hätte mir gewünscht, dass man Inhalte aus dem Referendariat schon in das Studium einbaut, damit man weiß, was auf einen zukommt'.
Schlusswort
Das Zeitmanagement, der große organisatorische Aufwand sowie die gravierenden Unterschiede zwischen akademischer Theorie und praktischem Berufsalltag wurde von allen Befragten beanstandet. Der Wunsch nach einem praxisorientierterem Lehramtsstudium wurde deutlich.
Angehende Fachlehrkräfte schlagen den richtigen Weg ein, indem sie den Mittelweg zwischen dem Austausch mit praxiserfahrenen Lehrpersonen und einem 'Einlassen' auf den eigenen beruflichen Werdegang im Schuldienst wählen. Während ihres Referendariats erweisen sich die Aussagen von älteren Lehrerinnen und Lehrern als nützliches Hintergrundwissen; in der Regel werden sie jedoch durch eigene Erkenntnisse und Ansichten ergänzt. Jede Lehrkraft geht ihren Beruf mit anderen Zielen und Schwerpunkten an. Diese Unterschiede schlagen sich letztlich in der Frage nieder, wie man den Alltag als Lehrerin oder Lehrer selbst erlebt.
Die Frage nach dem „Was hätte ich gerne vorher gewusst?“ lässt sich zusammenfassend so beantworten: Macht euch darauf gefasst, dass das Referendariat ein Sprung ins kalte Wasser sein kann und dass zum Lehrkräftealltag viele organisatorische Tätigkeiten gehören (Empfehlung: digitale Unterstützung bietet die Maiß Lehrer-App). Aber ihr habt auch gelesen, dass sich die Berufswahl auszahlt und es viele schöne, erfüllende Momente gibt.,